Die Kirche auf Haiti erfüllt ihre prophetische Rolle

Im August erschütterte ein schweres Erdbeben Haiti. Die Welt sah hin und dann auch wieder sehr schnell weg. Dabei ist die Lage in dem Karibik-Staat desolat. Wie die Kirche alles tut, damit die Menschen trotzdem nicht den Mut verlieren, erklärt Missio-Partner Emery Ménard. Er ist Pfarrer in einem Gebiet im Süden der Insel, das besonders hart getroffen wurde.

Wie ist die Situation im Moment in Haiti?

 

Schwierig. Es ist sehr verlockend, den Mut zu verlieren. Die verantwortlichen staatlichen Stellen sind nicht mal im Stande einzuschätzen, wie viel Zerstörung durch das Erdbeben am 14. August wirklich angerichtet hat.

 

Wie geht es den Menschen?

 

Sie leben von Tag zu Tag. Mitten in einer politischen Krise, die endlos erscheint, umgeben von gefährlichen, bewaffneten Banden einerseits und Naturkatastrophen andererseits. Es geht ihnen sehr schlecht. Ich befürchte, dass sich zunehmend ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit breit macht.

Père Emery Ménard

Wie sehen denn die Schäden durch das Erdbeben in Ihrem Umfeld aus?

Am gravierendsten sind natürlich die vielen Menschenleben, die es gefordert hat. Ich versuche mich dauernd – mit mäßigem Erfolg – um Menschen zu kümmern, die Gliedmaßen verloren haben. Einer unserer Brüder ist gestorben. Die katholische Kirche ist eine der Einrichtungen, die das Erdbeben am schwersten getroffen hat. Etwa 100 Kirchengebäude wurden zerstört, viele Kapellen sind so beschädigt, dass man sie nicht mehr verwenden kann.

Man hört, dass über eine Million Menschen von Hunger bedroht sein sollen, weil die Lebensmittelproduktion ins Stocken geraten ist?

Das ist leider wahr. Hunger gab es schon vorher. Das Erdbeben hat ihn massiv verstärkt. Wir können lokal nicht genug Lebensmittel produzieren.

Was macht die katholische Kirche für die Menschen Haitis? Kann sie ihnen helfen?

Die Kirche wird sehr geschätzt von der Bevölkerung. Sie ersetzt an verschiedenen Stellen den Staat, in Bezug auf Bildung oder Gesundheitsversorgung zum Beispiel. Die Kirche kommt überall hin, sie ist auch in den entlegensten Regionen vertreten – anders als der Staat. Im Großen und Ganzen ist es die katholische Kirche, die die Menschen mit dem Notwendigsten versorgt nach so einer Katastrophe. Die Kirche organisiert medizinische und psychologische Hilfe und Nahrungsmittel. Sie ist es auch, die den Menschen Hoffnung auf eine bessere Zukunft macht. Aber es ist nicht einfach. Die soziale und politische Situation in Haiti macht pastorale und karitative Arbeit sehr schwer. Wir haben alle Angst entführt zu werden. Mehrere Priester und Schwestern wurden bereits entführt. Und dennoch ist es die Kirche, die dafür sorgt, dass der Ruf nach sozialer Gerechtigkeit nicht verstummt. Sie traut sich auch in der aktuellen Situation ihre prophetische Berufung wahrzunehmen.

Wie könnten Europa und die internationale Gemeinschaft Haiti helfen? Was braucht das Land?

Heute braucht Haiti mehr denn je die Hilfe Europas und der internationalen Gemeinschaft. Trotzdem sind wir mit dem Einsatz der UNO vor Ort überhaupt nicht zufrieden. Die Vereinten Nationen sind seit 2004 in Haiti, geändert hat das gar nichts. Weder die wirtschaftlichen noch die politischen Maßnahmen haben gegriffen. Unser korrupter Präsident wurde im Sommer trotz Anwesenheit der UNO erschossen.

Heute bräuchten wir technische und finanzielle Unterstützung, um den Menschen helfen zu können, ihr Leben neu zu organisieren, ihr Land wiederaufzubauen und funktionierende (Aus)Bildungseinrichtungen zu etablieren.

Weder wirtschaftliche noch politische Maßnahmen haben gegriffen.
Immer wieder kommt es auf Haiti ständig zu Protesten der Massen.

Was macht Missio Österreich für die Menschen in Not?

Durch die Hilfe, die unsere Pfarre von euch bekommt, ist Missio in der Bevölkerung sehr bekannt als Organisation, die sich für das Wohlergehen der Menschen aktiv einsetzt. Missio ist die einzige Organisation, die die Pfarren unterstützt. Dank Missio haben Menschen Zugang zu sauberem Wasser, Nahrungsmittel und medizinischer Versorgung. Die am meisten betroffenen Menschen bekommen jetzt provisorische Unterkünfte, Duschen und Latrinen zur Verfügung gestellt. Außerdem sind wir dabei, ein Programm für psychotherapeutische Betreuung zu entwickeln.

 

Seit Jahren schon so große Not und kein Ende in Sicht. Wie gelingt es Ihnen, den Glauben nicht zu verlieren? 

Wir erinnern uns an die vielen Jahre, die das Volk Gottes in der Wüste verbracht hat. Wir glauben, dass auch Haiti seine Wüste irgendwann verlässt. Aber wir wissen eben nicht, wie lange wir noch durchhalten müssen. Die Solidarität der Weltkirche, zum Beispiel aus Österreich, ermöglicht uns, wirklich etwas für die Menschen zu tun. Das Evangelium, das wir verkündigen, berührt die Menschen und erinnert sie, dass Gott die Menschen nicht geschaffen hat, um im Elend zu leben. Das ist es, was unseren Glauben stärkt und unser Engagement an der Seite Jesu.

 

Was gibt Ihnen Hoffnung?  

Die Intensität des Engagements der Kirche für die Menschen. Sie erfüllt ihre prophetische Rolle. Sie ermahnt die Regierenden und appelliert an die Autoritäten ihre Verantwortung auch wahrzunehmen. 

Die Kirche gibt Hoffnung

Was muss passieren, damit Haiti Ruhe findet? 

Länder wie die USA, Kanada, die Europäische Union dürfen keine schlechten Regierungen und korrupte und schamlose Politiker unterstützen. Diese Länder haben eine besondere Verantwortung für unser Leid und unsere politische Krise. Sie müssen ihre Politik in Bezug auf Haiti ändern. Die Gangs müssen entmachtet werden und auch die Politiker, die sie manipulieren. Diese Banden haben sich wie ein Krebsgeschwür ins Land gefressen. Sie erpressen die Bevölkerung und sie schrecken vor nichts zurück – sie töten sogar schwangere Frauen und deren Kinder.

Was erhoffen Sie sich von der Präsidentschaftswahl im November?
Es wird keine Wahl geben dieses Jahr. Die Voraussetzungen sind noch nicht wieder gegeben. Haiti ist das einzige Land der westlichen Hemisphäre, das – auch aufgrund fehlender Unterstützung der internationalen Gemeinschaft – nicht im Stande ist, im Rahmen demokratischer Prozesse angemessene politische Vertreter zu finden.

 

Waren Sie persönlich in der Vergangenheit Gefahr ausgesetzt? Haben Sie Angst? 

Ja, Angst hatte ich schon. Ich war zum Beispiel schon mit bewaffneten Männern an spontanen Straßenblockaden konfrontiert.

Haiti Weltkarte

Was sagen Sie persönlich den Menschen? 

Meine Botschaft ist die Einladung eigenverantwortlich zu handeln und solidarisch zu leben. Um aus der aktuellen Lage herauszukommen, sind kleine Projekte, die gut koordiniert werden, geeignet. Die können dann große Effekte erzielen.

Zuletzt möchte ich Missio danken. Und den Unterstützern und Unterstützerinnen von Missio, die uns zu Hilfe eilen. Wir erachten die Menschen in Österreich als unsere Freunde. Als Freunde Haitis. In der Not erkennt man seine wahren Freunde. Möge Gott euch segnen.

Père Emery Ménard
Haiti
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