Der Papst in Afrikas krankem katholischen Herzen

Kinshasa putzt sich heraus. Entlang des großen Boulevards Lumumba, der wichtigsten Verkehrsachse der kongolesischen Hauptstadt, wird asphaltiert und ausgebessert, Händler müssen ihre Stände räumen, Müll wird nach langer Zeit wieder einmal abtransportiert. Und das für einen, den alle schon im Juli des vergangenen Jahres erwartet hätten. Papst Franziskus musste damals seine geplante apostolische Reise in die Demokratische Republik Kongo (DRK) wegen akuter Knieschmerzen absagen. Seither wiederholte er, wie sehr ihm dies leidtäte, sei ihm doch der Besuch im Kongo, und daran anknüpfend im Südsudan, ein Herzensanliegen, das nun Ende Januar wahr wird.

Von Christoph Lehermayr
Fotos: Simon Kupferschmied

Drei Gründe sind es, die verstehen lassen, warum diese Reise und gerade der Kongo solche Relevanz für Franziskus besitzen. Den ersten führte sein dortiger apostolischer Nuntius, Erzbischof Ettore Balestrero, jüngst selbst an, als er den Kongo „das erste katholische Land Afrikas“ nannte. Der Verweis führt zurück in die Vergangenheit und in die Zukunft zugleich. Anfang des 16. Jahrhunderts schickte der erst kurz zuvor getaufte kongolesische König Afonso seinen Sohn Henrique zum Studium nach Europa. In Rom wurde dieser 1518 als erster Schwarzafrikaner zum Bischof geweiht und war nach seiner Rückkehr in die Heimat maßgeblich bei der Ausbreitung des Christentums. Jahrhunderte später wuchs die Kirche im Schatten brutaler belgischer Kolonialherren weiter. Sodass heute etwa die Hälfte der 87 Millionen Einwohner katholisch sind – womit der Kongo auch hier Platz 1 in Afrika belegt. Nirgendwo anders auf dem Kontinent ist die katholische Kirche historisch so tief verankert und in der Zahl ihrer Gläubigen derart groß. Da die Kirche in ganz Afrika wächst und ihr bald mehr Menschen angehören werden als in ganz Europa, ist die Reise ins Herz des Katholizismus am Kontinent nur folgerichtig.

Die unbequeme Stimme im Land

Die Kirche im Kongo ist ein relevanter gesellschaftlicher Akteur – und das auf die eher unbequeme Art für die Mächtigen in dem notorisch korrupten Land. So folgsam sich der Klerus noch zu belgischen Kolonialzeiten gab, so sehr emanzipierte er sich, als Machthaber Mobutu in die Kleptokratie abdriftete. Joseph Malula, Kongos erster Kardinal und Geburtsvater der afrikanischen Kirche, kritisierte ihn dafür öffentlich. Und der Herrscher über das von ihm nun Zaire genannte Land rächte sich bitterlich: Weihnachten war fortan ebenso abgeschafft wie katholische Taufnamen. Kreuze in Schulen, Spitälern und anderen kirchlichen Einrichtungen hatten durch das Bild des Potentaten ersetzt zu werden. Fortan sah sich Mobutu selbst als Messias. Dieser schickte zu Geburtstagen von Frau und Tochter die Concorde schon mal nach Paris, um meterhohe Torten aus feinsten Patisserien samt tausender Flaschen edelster Weine einfliegen zu lassen. Erst als sich Papst Johannes Paul II. 1980 zum Besuch ansagte, lockerte Mobutu seinen Griff nach der Kirche – und retournierte ihre inzwischen in den Bankrott getriebenen Besitzungen. 43 Jahre später wird Franziskus wirkmächtig in die Notre-Dame-Kathedrale von Kinshasa zurückkehren und dort den Klerus treffen. Von dort rief schon sein Vorvorgänger Kongos Kirche dazu auf, „ihre afrikanischen Wurzeln zu vertiefen, ohne dabei die universelle Dimension zu vergessen.“ Der so genannte Zairische Messritus, der mehr Tanz und Gesang vorsieht, wurde in Folge vom Vatikan offiziell anerkannt und beispielhaft für ganz Afrika.

Derart gestärkt, wundert es nicht, dass Kongos Kirche das Versagen der dortigen Politikerkaste bis heute anklagt. Kirchliche Schulen und Spitäler sind in weiten Teilen des Landes die einzigen Institutionen, die funktionieren, während staatliches Lehrpersonal oft über Monate hinweg keine Gehälter bekommt und Gesundheitszentren kaum vorhanden sind. Jedes zweite Kind im Kongo ist laut Unicef unterernährt. 70 Prozent der Bevölkerung müssen der Weltbank zufolge von weniger als 2 Euro am Tag leben. Dabei gilt der Kongo als das an Bodenschätzen reichste Land der Erde. Doch an Gold und Diamanten klebt das Blut der Ausbeutung und der Milizen, die es finanziert. Erze wie Kupfer, Coltan und Kobalt sind für die Produktion von Batterien für Smartphones oder E-Autos unersetzlich und kein anderes Land verfügt über derart üppige Vorkommen. Von den erzielten Gewinnen bleibt aber nichts an den Stätten ihrer Ausbeutung im Osten und Süden des Landes. Dort müssen selbst Kinder in den halblegalen Minen schuften, da sie sonst verhungern würden. Meist sind es chinesische Staatskonzerne, die sich dank korrupter Deals mit Kongos Regierenden den Zugriff auf die Rohstoffe über Jahrzehnte hinweg gesichert haben. Papst Franziskus hat das immer wieder beklagt und in seiner Enzyklika „Laudato si‘“ auch kenntnisreich ausgeführt. Sein geplantes Zusammentreffen mit Kongos Präsident Félix Tshisekedi und dessen Macht-Entourage wird all das zum Thema haben, der Kritik der Kirche vor Ort mehr Gewicht verleihen und den zweiten Grund für die Reise liefern.

Kampf um Rohstoffe

Der Heilige Vater hatte ursprünglich vor, nicht nur in der Hauptstadt Kinshasa zu bleiben, sondern auch in die Unruheprovinz Kivu im Osten des Landes, an der Grenze zu Ruanda, zu reisen. Dort, rund um die Großstadt Goma, kulminieren die Probleme des Kongo. Nirgends sind mehr Rohstoffe konzentriert und nirgends ist die daraus resultierende Gewalt größer. Über zwei Jahrzehnte tobt ein Bürgerkrieg, der vom Nachbarland Ruanda am Köcheln gehalten wird. Die von dort unterstützte Rebellengruppe M23, die sich aus Männern der in Ruanda regierenden Tutsi-Volksgruppe zusammensetzt, liefert sich Kämpfe mit Kongos Regierungstruppen und stand im November kurz vor Goma. Gräueltaten erschreckenden Ausmaßes und Massaker finden jedoch kaum mehr ihren Weg an die Weltöffentlichkeit. Dem will Papst Franziskus entgegenwirken. Schon am zweiten Tag seines Aufenthalts, gleich nach der großen Festmesse, zu der eine Million Menschen erwartet werden, sucht er den Kontakt zu den Opfern der Gewalt im Osten des Landes. Dem Heiligen Vater ist es ein Herzensanliegen, auf diesen von der Welt vergessenen Konflikt, durch den fast sechs Millionen Menschen getötet und noch mehr in die Flucht getrieben wurden, hinzuweisen und Versöhnung zu versuchen. Wie sehr ihn das beschäftigt, zeigt, dass er Denis Mukwege im Vatikan zur Audienz empfing. Der kongolesische Arzt, Pastor und Menschenrechtsaktivist stammt selbst aus der Unruheprovinz und kämpft seit Jahren für die Opfer sexualisierter Kriegsgewalt. 2018 wurde ihm für seinen Einsatz der Friedensnobelpreis verliehen. Erst kürzlich warnte Mukwege vor einem „neuen Völkermord im Kongo“, der im Schatten all des Wahnsinns der Welt stattfinden könnte. Seinen Traum vom Frieden schilderte er dem Papst in Rom persönlich. Und nun kommt Franziskus in dessen Heimatland, um genau davor nicht die Augen zu verschließen – der dritte und wohl wirkmächtigste Grund seiner Reise. Deren offizielles Motto lautet: Alle durch Jesus Christus versöhnt.

Erschienen in “Die Tagespost” am 19. Jänner 2023

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