Zu Gast in der „Licht-der-Völker“-Kapelle

Hunderte Menschen an einem Ort und das in Zeiten der Quarantäne? Die digitalen Medien machen es möglich, dass die „Licht-der-Völker“-Kapelle von Missio Österreich in den letzten Wochen zu einem solchen virtuellen Versammlungsort geworden ist. Ein Ort, dessen Innenausstattung gleichzeitig noch einen Ausflug in die Karibik ermöglicht. In ein Land großer Not und Herausforderungen.

Seit Beginn der Corona-Krise überträgt Missio Österreich täglich auf YouTube live die Heilige Messe aus der „Licht-der-Völker“-Kapelle und über tausend Menschen feiern über das Internet mit. Dadurch rückte auch die farbenfrohe Innenausstattung der Kapelle verstärkt ins Rampenlicht. Zwei Künstler aus Haiti haben die Statuen, das Altarbild mit dem Tabernakel, die Kerzenständer und den Kreuzweg im Stil ihrer karibischen Heimat gestaltet. Père Snell Nord, langjähriger Missio-Projektpartner auf Haiti, hat die beiden Künstler Roland Darius und Jhonson Augustin vor kurzem in ihren Ateliers besucht. Sie haben ihm von ihrer Arbeit, ihrer Inspiration und den großen Herausforderungen durch die aktuelle Corona-Krise erzählt.

| Was war die Inspiration für die Gestaltung der verschiedenen Elemente für die Kapelle?

Jhonsons Augustin: Ich arbeitete mit einem künstlerisch tätigen Priester zusammen. Er hat mich gebeten einen Kreuzweg auf Metall zu reproduzieren, den er auf Papier gemalt hatte. Von seinen Bildern habe ich mich inspirieren lassen. Bis zum fertigen Kunstwerk dauert es aber einige Zeit. Manchmal verbringe ich eine Woche damit, ein Bild zu studieren oder ein Objekt zu entwerfen. Die besten Inspirationen kommen mir vor allem nachts. So war es auch bei dem Kreuzweg, der jetzt in Wien hängt: Eines Nachts wachte ich gegen Mitternacht auf und begann zu zeichnen. Am nächsten Morgen ging ich zu dem besagten Pfarrer, um ihn zu bitten, meine Zeichnungen zu beurteilen. Er fand sie fantastisch.

Roland Darius: Ich fühlte mich zur Bildhauerei hingezogen, als ich meinen älteren Bruder André Darius mit Holz arbeiten sah. Meine Inspiration finde ich durch die Bilder, die mir die Leute präsentieren, wenn sie mit einem Auftrag zu mir kommen. Ich brauche nur ein Gesicht, ein Foto zu sehen, um es auf Holz zu reproduzieren. Bei einem Besuch von Missio Österreich im Februar 2017 gab mir Nationaldirektor Pater Karl Wallner den Auftrag, die Statuen der „Lumen-Gentium“-Kapelle zu schaffen. Er hat mir die gewünschten Motive (die Gottesmutter Maria, die Heilige Familie und den Seligen Papst Paul VI., Anm. d. Red.) per Foto zugeschickt. Inspiriert von diesen Vorlagen habe ich dann die Statuen geschnitzt, die jetzt in Wien stehen.

| Woran erkennt man, dass es sich um haitianische Kunstwerke handelt?

Jhonsons Augustin: Um die Wahrheit zu sagen, habe ich der Metallbearbeitung anfangs nicht viel Bedeutung beigemessen. Erst im Ausland habe ich die Schönheit meiner Arbeit entdeckt. Jedes Werk ist einzigartig. Die Mischung der Farben ist typisch haitianisch und spiegelt unsere lebendige und dynamische Kultur wider. Wir sind eine einzigartige ethnische Mischung aus Tainos, Kolonisten (Spanier, Franzosen, Engländer und Sklaven aus verschiedenen afrikanischen Stämmen). Alle diese Einflüsse haben unsere Identität als Volk und unsere Kunst geprägt.

Roland Darius: Für mich ist es die Figur des Schwarzen mit einer großen (flachen) Nase und einem großen dicken Mund, die man in meinen Werken sieht. Ich kenne meine Identität, die haitianische Identität, gut. Das Durcheinander auf den öffentlichen Märkten und in den öffentlichen Verkehrsmitteln: Die Lebendigkeit der leuchtenden und faszinierenden Farben, die man überall findet, ist für mich typisch haitianisch.

| Woher bekommt ihr eure Inspiration für die Arbeit?

Jhonsons Augustin: Wie ich schon gesagt habe, beginnt für mich meist alles mit einem Traum. Das ist meine besondere Vision der Kunst: Was ich erschaffe, offenbart einen Teil von mir selbst. Mit jedem Werk entdecke ich einen anderen Aspekt meines eigenen Lebens, meiner Begabung. Ich finde, Inspiration ist etwas Grenzenloses.

Roland Darius: Als Künstler sehe ich mich selbst als Träumer. Ich träume die ganze Zeit. Meine Träume sind die Hauptquelle meiner Inspiration. Mein großer Vorteil ist, dass ich meine Träume einfangen kann. Sie verlassen mein Herz und mein Gedächtnis nicht. Ich habe immer eine Vision im Kopf. Oft wache ich in der Nacht auf und schnappe mir einen Bleistift und ein Blatt Papier. Ich versetze mich in meine Inspiration hinein, ich visualisiere sie. Dann fertige ich eine erste Zeichnung an, um damit dann weiter zu arbeiten. Es ist manchmal sogar für andere Künstler schwierig, meine Arbeit zu erklären. Meine Arbeit hat immer eine persönliche und intime Note.

| Was ist die Herausforderung beim Gestalten von religiösen Motiven und Gegenständen?

Jhonsons Augustin: Wir Haitianer sind grundsätzlich sehr religiös. Für mich als Künstler sind religiöse Objekte ein besonderes Anliegen. Durch sie drücke ich meinen Glauben aus und meine Dankbarkeit gegenüber Gott. Die Herausforderung ist für mich immer eine perfekte Umsetzung meiner Ideen. Meine Entwürfe sind leidenschaftlich, lebendig und schnell. Ich brauche einen religiösen Gegenstand nur zu sehen, um ihn dann auf geschnittenem Metall zu reproduzieren.

Roland Darius: Ich begann meinen Beruf als Bildhauer mit dem Schnitzen von religiösen Objekte. Sie bringen mir Freude. Es kommt mir vor, als kämen die Inspirationen aus den Tiefen meiner Seele. Durch die Gestaltung von religiösen Gegenständen drücke ich meinen Glauben aus. Während ich an einem Stück Holz schnitze, denke ich an Gott, der den Menschen und die ganze Welt geschaffen und geformt hat. Ich werde durch meine Arbeit selbst zum Schöpfer, Gott ähnlich. Der Unterschied besteht darin, dass ich nicht auf Anhieb eine perfekte Skulptur schaffe, wie Gott das kann. Ich nehme mein Werk viele Male in die Hand, bevor ich es als ästhetisch schön empfinde.

| Was sollen die Kunstwerke den Menschen in Österreich vermitteln, die die Kapelle besuchen?

Jhonsons Augustin: Meine Kunstwerke sollen eine kulturelle Inspiration vermitteln und die Originalität des haitianischen Kunsthandwerks präsentieren. Ich möchte, dass die Menschen die Schönheit der handgefertigten haitianischen Kunstwerke sehen.

Roland Darius: Ich möchte den Menschen in Österreich und Europa das weitergeben, was ich nur mit meinen Händen schaffe. Ich vermittle ihnen einen Teil von mir und von der haitianischen Kultur. Wenn jemand meine Skulpturen betrachtet, soll er von ihrer Schönheit überrascht werden. Kurz gesagt, ich biete den Menschen in Österreich die Möglichkeit, meine in einem sehr schwierigen Kontext entstandenen Werke mit ihren zu vergleichen. Manchmal zerstöre ich ein Werk, wenn es mir nicht gefällt. Ich will meine Werke immer perfektionieren.

“Licht-der-Völker”-Kapelle

Vor 15 Jahren wurde auf Initiative des ehemaligen Nationaldirektors Monsignore Leo Maasburg (2004-2016) in der Nationaldirektion der Päpstlichen Missionswerke in Wien eine Hauskapelle mit dem Allerheiligsten eingerichtet. 2017 wurde die Kapelle im Eingangsbereich neu angelegt. Der Name der Kapelle verweist auf Christus, der nach den Einleitungsworten der dogmatischen Konstitution des 2. Vatikanischen Konzils (1962-1965) über die Kirche selbst das „Lumen Gentium“, das „Licht der Völker“ ist. Patron der Licht-der-Völker-Kapelle ist der oft vergessene Konzilspapst Paul VI. († 1978), auch deshalb, weil er der Kirche von heute mit seinem Schreiben „Evangelii Nuntiandi“ von 1975 einen programmatischen Auftrag zur Evangelisation, zur Mission, in unserer Zeit gegeben hat.

| Wie geht es Ihnen aktuell in dieser schwierigen Situation?

Jhonsons Augustin: Haiti hat keine umfassende medizinische Infrastruktur. Ich lebe offen gesagt in Angst davor, vom Corona-Virus befallen zu werden, wenn ich sehe, was in Ländern mit weitaus besseren Gesundheitssystemen passiert. Es ist traurig. Ich sehe das Problem in meiner Heimat darin, dass das haitianische Volk die Regierung nicht richtig ernst nimmt. Die Haitianer haben viel mehr Vertrauen in die Initiativen der katholischen Kirche, die sich bemüht, die Bevölkerung vor der Pandemie zu warnen. Ich habe große Schwierigkeiten, die Miete für das Haus, das ich als Werkstatt benutze, zu bezahlen. Unter normalen Umständen hätte ich den größten Teil meiner Besitztümer verkauft, um meinen Verpflichtungen nachzukommen. Wenn die Corona-Pandemie andauert, werden meine Kinder, meine Frau und ich alle verhungern. Ich vertraue mich der göttlichen Vorsehung an. Ich bete zu Gott, dass er die Welt vom Corona-Virus befreit und heilt.

Roland Darius: Die gegenwärtige Situation, die durch die Corona-Pandemie entstanden ist, verbietet mir ein normales Leben. Da ich in einer ländlichen Gegend lebe, versuche ich mich selbst, meine Familienmitglieder und meine nähere Umgebung zu schützen. Aber ich kann diese Gefangenschaft kaum ertragen. Normalerweise sind es meine Kinder, die hinausgehen, um meine Werke zu verkaufen. Jetzt müssen wir alle zu Hause bleiben. Es ist sehr schwierig für mich, in dieser Zeit zu überleben. Ich zapfe meine kleinen Reserven an, aber wenn die Corona-Krise andauert, bin ich gezwungen zu betteln. Ich musste schon einen Kühlschrank verkaufen, um den Strom zu bezahlen und meine kleinen Reserven aufzubessern.

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| Bekommen sie noch Aufträge?

Jhonsons Augustin: Seit dem Flugverbot habe ich keinen einzigen Auftrag mehr erhalten. Keine Touristen, keine Aufträge! Ich lebe von meinen Ersparnissen. Doch in diesen letzten Tagen konnte ich meine Familie, meine Frau und meine vier Kinder, kaum ernähren. Ich stehe am Rande des Ruins.

Roland Darius: Nein, ich bekomme zurzeit keine neuen Aufträge. Allerdings habe ich mehrere Gegenstände, wie Kruzifixe, vorbereitet.

| Sehen Sie irgendwelche positiven Seiten an der Krise?

Jhonsons Augustin: Auf den ersten Blick sehe ich für mich keine positiven Aspekte in der Krise. Die Welt ist blockiert, alle Grenzen sind gesperrt. Ich kann nicht einmal meinen Lebensunterhalt verdienen. Es herrscht ein Mangel an Solidarität zwischen den Nationen. Das einzig Positive für mich: Diese Pandemie ist eine Einladung an die ganze Weltbevölkerung, ihre Prioritäten im Leben zu überprüfen. Das Corona-Virus demaskiert alle von Menschenhand geschaffenen Sicherheitssysteme. Wir sollten uns fragen, was eigentlich das Wichtigste im Leben ist.

Am Ende dieses Interviews möchte ich Missio Österreich danken, dass sie meinem Handwerk solche Aufmerksamkeit schenken. Abbè Snell Nord danke ich dafür, dass er in einer so schwierigen und gefährlichen Zeit zu mir gekommen ist. Gott segne Sie alle!

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