Der Fluch der Voodoo-Priester

Während seiner Afrika-Reise nach Benin, dem Ursprungsland der Voodoo-Religion, warnte Papst Benedikt XVI. vor okkulten Praktiken wie dem Geisterglauben. Auch in Nigeria sind der Hexenglaube und Voodoo noch immer verbreitet. Die Nigerianerin Joana A. Reiterer kämpft in der Öffentlichkeit gegen die Auswüchse dieser Praktiken.

Strahlend empfängt sie Afrikanerinnen in ihrem kleinen Beratungsbüro in einem Wiener Außenbezirk. Man merkt dieser jungen Frau aus Nigeria nicht im geringsten an, wie viel Schweres sie bereits in ihrem kurzen Leben erlebt hat. Joana Adesuwa Reiterer versprüht eine unglaubliche Lebensenergie. Die dreißigjährige Aktivistin, die 2009 mit dem österreichischen Menschenrechtspreis geehrt wurde, stammt aus einem wohlhabenden Haus in Benin City. Ihre Mutter ist gläubige Christin, der Vater ein erfolgreicher Geschäftsmann. Ihre Kindheit ist geprägt von der religiösen Erziehung der Mutter und der Zeit an der christlichen Eliteschule. Den Vater bewundert sie für seinen Erfolg und sein selbstbewusstes Auftreten. Doch als die Geschäfte nicht mehr so gut laufen, verfällt er dem Voodoo-Kult, oder, wie man in Nigeria sagt, dem Juju. Jemand aus der Familie muss dafür die Schuld tragen, so glauben es zumindest die Juju-Anhänger. Also schlägt er die Mutter so lange, bis sie sich halb tot zu ihrer Mutter flüchtet. Der Vater nimmt sich eine neue Frau, und da sie nicht schwanger wird, macht er Joana und ihre Schwester dafür verantwortlich. Sie werden zu einer Priesterin geschleppt, die ihnen in einem Beschwörungsritual, einen „Zaubertrank“ verabreicht. Dadurch sollen sie sich ihrer neuen Identität als sogenannte „Wasserhexe“ bewusst werden oder sterben, falls sie sich dagegen auflehnen. Sie weigern sich, ihre angeblichen Hexenkräfte für das materielle Wohlergehen der Familie einzusetzen, weshalb der Vater sie in den Keller seiner Villa sperrt. Nach einer Woche gelingt ihnen die Flucht aus diesem Verließ. Sie klettern über die mit Glasscherben bestückte, drei Meter hohe Mauer in die ersehnte Freiheit. Doch zunächst muss Joana noch weitere Hürden überwinden, bis sich das Tor zur wirklichen Freiheit für sie öffnet.

Schreiben als Therapie

Mehr als 600 Seiten hat sich Joana von der Seele geschrieben. Sie schrieb sozusagen als Therapie. Ihre vielen Erlebnisse musste sie erst einmal verarbeiten. „Ich zögerte, meine Erfahrungen mit der Öffentlichkeit zu teilen, doch dann ermutigte mich mein Mann dazu, weil ich dadurch anderen Frauen helfen kann, die Ähnliches erlebt haben.“ Heute kann Joana sagen, dass sie froh ist, nicht noch Schlimmeres erlebt zu haben. „Jetzt, da ich dieses Buch schreibe, weine ich. Weil ich Gott danke, dass er mir die Kraft verliehen hat, das alles zu ertragen“, so die preisgekrönte Bestsellerautorin. „Ich habe Enttäuschungen erlitten, die sich viel später als Segen erwiesen haben. Und es muss einen Grund haben, warum ich das alles überlebt habe.“ Die brutalen Läuterungsrituale, die darauf abzielen, Menschen durch Ernährungsentzug, Folter und die Verabreichung von Drogen gefügig zu machen, konnten sie nicht brechen. Letztendlich ist sie durch diese Erlebnisse über sich hinaus gewachsen. Der Glaube an die magische Kraft der Voodoo-Rituale ist weiter verbreitet als man denkt. Jener Hexen- und Geisterglaube prägt nicht nur den dörflichen Alltag vieler Nigerianer, sondern er durchdringt auch das Geschäftsleben in den Großstädten. Man kann sich diesen Ritualen kaum entziehen, sonst wird man bestraft und im schlimmsten Fall auch getötet.

Voodoo-Priester

„Viele Enttäuschungen in meinem Leben erwiesen sich später als Segen.”

Joana

 

Zum Sex gezwungen

Voodoo

Heute lebt Joana mit ihrem österreichischen Ehemann und ihren zwei Kindern in Wien. Sie hat vor sechs Jahren einen Verein namens EXIT gegründet, der wichtige Aufklärungsarbeit zum Thema Menschenhandel und Prostitution leistet. Sie berät afrikanische Frauen, die durch einen Voodoo-Fluch gefügig gemacht und zum Sex gezwungen werden. Für diese Frauen gibt es kein Entrinnen aus der Zwangsprostitution. Bevor diese Frauen nach Europa geflogen werden, nimmt man ihnen in einem Juju-Ritual einen Eid zum Gehorsam ab. Ihre Haare und Fingernägel werden in einem Schrein aufbewahrt. Auf diese Weise üben Juju-„Priester“ oder Priesterinnen ihre magische Autorität über die Frauen aus. Die Juju-Priester würden es sofort bemerken, wenn ein Eid gebrochen wird und könnten somit Unglück über ihre Familie bringen, drohen sie. Heute dreht Joana Filme, um den Zusammenhang zwischen dem Voodoo-Ritual und dem Phänomen des Menschenhandels aufzeigen.

Angst vor Voodoo überwinden

Sie fliegt wieder regelmäßig nach Nigeria, veranstaltet Workshops und zeigt ihre Filme vor Ort. „Man muss die Angst vor dem Voodoo-Fluch überwinden. Nur so kann man sich davon befreien,“ ist Joana überzeugt. Mit den Frauen diskutiert sie über falsche Vorstellungen vom „paradiesischen Europa“. „Die Nigerianerinnen glauben, hier sei alles viel besser, aber sie wissen nicht, mit welchen Hürden der Bürokratie man hier konfrontiert wird. Oft glaubt man den Geschichten der verschleppten Frauen nicht und schiebt sie einfach ab.“ Ein gewisser Bewusstseinswandel habe je- doch in der Öffentlichkeit bereits stattgefunden. „Eine österreichische Polizeieinheit erhält eine Spezialausbildung, um dem Verbrechen des Menschenhandels auf die Schliche zu kommen. Ihnen bleiben jedoch die Hände oft gebunden, sobald die Staatsanwaltschaft ein Verfahren wieder ein- stellt. Die vor Tatendrang sprühende Nigerianerin wird ungeduldig: „Mich stört es, wenn immer nur viel geredet wird. Während die Behörden und NGOs über Menschenhandel diskutieren, gehen viele Frauen verloren. Wir müssen endlich handeln.“

Joana kam selbst durch die Hand eines Menschenschleppers im Jahr 2003 nach Wien. Tony hatte ihr große Versprechungen gemacht. Sie hatte den in Europa herumgekommenen Geschäfts- mann aus ihrer Heimatstadt Benin City geheiratet in der Hoffnung, der Welt des Voodoo und des Hexenzaubers entziehen zu können. Sie wollte mit ihm in Österreich ein neues Leben beginnen. Sie ahnte nichts von seinen Geschäften, die er vor ihr verborgen hielt, doch sie bemerkte recht schnell, dass in ihrer Ehe etwas nicht stimmte. Die auffällig gestylten Frauen, die täglich durch ihre Wohnung in Hernals geschleust wurden, machten sie stutzig. Tony zwang sie, sich erneut einem siebentägigen Juju- Ritual in ihrer Heimat zu unter- ziehen. Es war noch brutaler als beim ersten Mal. Doch allmählich gelang es ihr, sich aus den Fängen des Menschenhändlers zu befreien trotz andauernder Drohungen. Heute versteht sie, wie wichtig es ist, nigerianischen Frauen eine berufliche Perspektive zu geben. „Die meisten Frauen leben ohne eine Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Sie fallen daher leicht auf falsche Versprechungen rein.“ Deshalb konzentriert Joana ihr Engagement nun vermehrt auf die Präventivarbeit: „Ich habe eine neue Initiative gegründet, eine Schmuckwerkstatt, in der wir den nigerianischen Frauen beibringen, Schmuck herzustellen. Sie verkaufen ihn und können so selbstständig ihren Unterhalt verdienen.“

Zurück in Nigeria

Kürzlich besuchte Joana mit einem Fernsehteam wieder ihre nigerianische Heimat. Sie gingen in sogenannte Hexendörfer, in denen verfluchte Kinder ganz abgeschieden leben, manche bereits seit ihrem achten Lebensjahr. Auch besuchte sie ihren Vater. Ich hatte ihm verziehen und dachte, ich könne nun neu auf ihn zugehen. Aber leider hängt er noch immer an seinen Juju-Praktiken. Er ist zu stolz und kann sich sein Fehlverhalten mir gegenüber nicht eingestehen.“ Joana ist ihrem Vater fast dankbar, weil es bei ihr letztlich nicht so schlimm war wie bei diesen Kindern. „Immerhin war ich bereits 16 Jahre, als er mich verstieß.“ Nachdenklich fügt sie mit einem großen Lächeln hinzu: „Trotz allem bleibt er mein Vater, und ich liebe ihn immer noch.” Joana kämpft weiter ihren Kampf für Nigerias Frauen. Die Liebe hat es ihr möglich gemacht, die Angst vor dem Voodoo zu besiegen.

 

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