Kinder im Krieg

Mütter und Kinder zetteln keine Kriege an. Aber sie sind die Bevölkerungsgruppe, die am meisten unter Bürgerkriegen und bewaffneten Konflikten leidet. Damit sie nicht alleine bleiben, hilft Schwester Hellen in Uganda.

Missiothek 2013/1

KinderarbeitMirembas erster selbstgenähter Rock ist etwas groß geraten. Der blaue Polyesterstoff ist sehr dünn und der Gummizug am Bund wirkt schlicht, was aber den Vorteil hat, dass ihre Tochter nicht so schnell aus ihm herauswachsen wird. Voll Stolz streicht sie über das Kleidungsstück, das Teil einer Schuluniform ist. Für die Sechzehnjährige ist der Rock mehr als bloß ein Kleidungsstück. Der Rock ist ein Symbol dafür, dass sie ihrer Tochter eine Zukunft mit Bildung bieten kann. Etwas, das sie selbst nicht hatte. Denn im Alter von acht Jahren wurde ihr Heimatdorf im Norden Ugandas von den Rebellentruppen der Lord’s Resistance Army (LRA) niedergebrannt. Sie selbst wurde entführt, in den Busch verschleppt und vergewaltigt. Heute lebt Miremba mit ihrer Tochter in einem Lager für ehemalige Kindersoldatinnen in Gulu im Norden Ugandas, das von Schwester Hellen Lamunu geleitet wird.

Kinder unter Waffen

Kinderarbeit

1989 definierte die UN-Konvention der Kinderrechte alle Kriegsteilnehmer unter 15 Jahren, die direkt an Feindseligkeiten teilnehmen, als Kindersoldaten. 2002 hob ein für die Vertragsstaaten der UN-Konvention nicht automatisch bindendes Zusatzprotokoll das Mindestalter für Soldaten und Soldatinnen auf 18 Jahre an. Alle unter 18-Jährigen, die von bewaffneten Truppen rekrutiert werden, egal in welcher Funktion – ob in direkten Kampfhandlungen oder für Hilfsdienste eingesetzt – gelten als Kindersoldaten. Inzwischen haben 151 Staaten das Zusatzprotokoll ratifiziert. Aber noch immer werden weltweit rund 250.000 Kinder als Soldaten missbraucht. Sie werden als Zwangsarbeiter rekrutiert, als Spione missbraucht und beim Legen und Räumen von Minen eingesetzt. Sie werden Zeugen von Tötungen, Verstümmelungen und Vergewaltigungen von Zivilisten. Sie werden schließlich auch selbst zu Tätern.

Liste der Schande

Seit 2002 dokumentieren die Vereinten Nationen die Schicksale von Kindern in bewaffneten Konflikten. Unter dem Motto „Naming and Shaming“ geben sie jährlich eine Liste der Länder heraus, in denen Kinder nach wie vor in bewaffneten Konflikten eingesetzt werden. Auf ihr finden sich alte Bekannte wie die Demokratische Republik Kongo, der Tschad oder der Sudan. Neu hinzugekommen sind Staaten wie Syrien, Libyen oder der Jemen. Das Ergebnis des jüngsten Berichts: Die systematische Ausbeutung von Kindern für Kriegshandlungen nimmt zu. Aus Syrien etwa liegen Berichte vor, dass Kinder in Gefängnissen misshandelt und von den Konfliktparteien als menschliche Schutzschilde missbraucht werden. Auch Schulen werden gezielt angegriffen. Im Beobachtungszeitraum Jänner bis Dezember 2011 wurden insgesamt 54 Konfliktparteien in 14 Ländern registriert, die Kinder missbrauchen. Genannt werden Terrornetzwerke wie al-Qaida im Irak und Milizen wie die Lord‘s Resistance Army (LRA) in Uganda. Am Pranger stehen sowohl staatliche Armeen als auch Milizen.

Erste Erfolge

Kinderarbeit

Child Soldiers International“, ein weltweiter Zusammenschluss verschiedener Menschenrechtsorganisationen gegen den Einsatz von Kindersoldaten, betreibt intensive Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit. Die Organisation hat das Bewusstsein in der Öffentlichkeit, dass der Einsatz von Kindersoldaten ein Verbrechen ist, deutlich geschärft.

Im Gründungsdokument für den Internationalen Strafgerichtshof aus dem Jahr 1998 gilt die Rekrutierung und der Einsatz von Kindersoldaten als Kriegsverbrechen. Der ehemalige Rebellenführer Thomas Lubanga Dyilo, der in der Demokratischen Republik Kongo während des Bürgerkriegs 2002/03 tausende Kindersoldaten zwangsrekrutiert hat, wurde vom Internationalen Strafgerichtshof zu 14 Jahren Haft verurteilt. Charles Taylor, der ehemalige Präsident Liberias, zu 50 Jahren.

Regierungen und Oppositionsgruppen, die Kinder für militärische Zwecke einsetzten, stehen heute weltweit medial am Pranger. Noch vor 20 Jahren berichtete weder CNN noch BBC über die Gräueltaten. Dass Regierungen dabei gehörig unter Druck geraten können, erwies sich erst jüngst im Fall von Myanmar. Bis 2011 war das Land eine Militärdiktatur und galt weltweit als das Land mit den meisten Kindersoldaten. Schätzungen gingen von etwa 80.000 Kindern auf Seiten der Regierungstruppen und der Milizen aus. Um die Ernsthaftigkeit ihrer Reformbestrebungen zu unterstreichen, hat die neue zivile Regierung 2012 eine Vereinbarung mit dem Kinderhilfswerk UNICEF unterzeichnet, nach der alle Minderjährigen aus dem Armeedienst entlassen und keine neuen eingestellt werden sollen.

Weltweites Aufsehen erregte die Social-Media-Kampagne „KONY 2012“ der US-amerikanischen NGO „Invisible Children“. Das Anfang März vergangenen Jahres auf Vimeo und Youtube veröffentlichte Video, machte den ugandischen Rebellenführer und mutmaßlichen Kriegsverbrecher Joseph Kony und das Thema Kindersoldaten beinahe über Nacht weltbekannt. Allein in den ersten sechs Tagen nach seiner Veröffentlichung wurde das Video mehr als 100 Millionen Mal aufgerufen. Zwar war die undifferenzierte Darstellung des Konfliktes in Uganda sehr umstritten, aber es gab auch positive Effekte: So wurde das Interesse der Weltöffentlichkeit auf die politische Situation in den Krisenregionen Ugandas und des Kongo gelenkt und aktuelle Entwicklungen werden seither aufmerksam verfolgt.

Wer trägt die Verantwortung?

Kinderarbeit

Dass es heute weltweit an die 250.000 Kindersoldaten gibt, liegt auch in der Verantwortung der Industrienationen. Durch Waffenexporte leisten sie einen Beitrag zur Destabilisierung eines Landes oder einer ganzen Region und tragen zu einer gewaltsamen Eskalation von Konflikten bei. Insbesondere der Export von Kleinwaffen, die kinderleicht zu bedienen sind, hat fatale Auswirkungen auf die Kinder in den Krisengebieten. Finanziert werden die Waffen oft durch den Verkauf von leicht abbaubaren Rohstoffen wie Diamanten, Tropenhölzern, Öl oder seltenen Erden an die Industrieländer. Der Schattenbericht 2011 wirft Deutschland – einem der größten Exporteure von Rüstungsgütern – mangelnde Transparenz, fehlende parlamentarische Kontrollmöglichkeiten und unzureichende Bekämpfung von Korruption bei Rüstungsexporten vor. Eine Kontrolle des Weiterverkaufs ist zudem in den meisten Staaten nicht möglich. Kleinwaffen sind robust und können jahrzehntelang zum Einsatz kommen. Ihre illegale Weitergabe ist einfach, da sie leicht und vergleichsweise preisgünstig sind.

Je länger ein Konflikt dauert, desto eher kommen Kinder zum Einsatz, weil ein akuter Mangel an Soldatennachschub besteht. „Kindersoldaten sind gefragt, denn sie sind leicht manipulierbar und führen Befehle aus, ohne sie zu hinterfragen“, berichtet Schwester Hellen Lamunu, Missio-Projektpartnerin aus Uganda. Sie wurde selbst im Alter von 16 Jahren entführt und zwangsrekrutiert. „Es war sinnlos sich zu wehren. Wer zu fliehen versuchte, oder sich den Befehlen widersetzte, wurde erschossen. Ich habe selbst gesehen, wie Rebellen der Lord’s Resistance Army Kindern Ohren oder Hände abgeschnitten haben, um sie gefügig zu machen.“ Angesichts des Terrors des Krieges schließen sich manche Kinder auch „freiwillig“ den kämpfenden Truppen an. Meist sind sie im Zuge der Kriegshandlungen selbst zu Waisen geworden. Als Soldaten sehen sie für sich eine Überlebenschance.

Die Folgen des Krieges

Wer mit Gewalt und bewaffneten Konflikten aufwächst, der leidet später oft unter posttraumatischen Belastungsstörungen, Depressionen und Angstzuständen. Eine Wiedereingliederung in die Familie ist oft nicht möglich, da die Soldatenkinder gezwungen wurden, ihre Verwandten umzubringen. Die Jugendlichen, die Gewalt als Mittel zur Lösung von Konflikten kennengelernt haben, sind nicht bereit, ihren Eltern Gehorsam entgegenzubringen. So werden sie häufig von ihren Familien verstoßen oder sie werden zum Ziel von Racheakten der Dorfbewohner.

Heilung und Vergebung

Moderne Sklaverei

Für Mädchen, die Kindersoldatinnen waren, ist eine Resozialisierung noch schwieriger. Die meisten von ihnen wurden vergewaltigt und sind mittlerweile Mütter. Ihre Familien und die Dorfgemeinschaften sind nicht bereit, sie wieder aufzunehmen. Sie werden gemieden, gelten als Huren und als nicht verheiratbar. Für diese Mädchen hat Schwester Hellen das Zentrum für die Ausbildung und Betreuung traumatisierter Jugendlicher gestartet. „Wir bieten den jungen Müttern Schutz und ein Dach über dem Kopf an. Um sie vor Racheakten ihrer Familien zu bewahren, mussten wir sogar eine Mauer um das Camp ziehen.“ Zurzeit leben 50 ehemalige Kindersoldatinnen, die nun Mütter sind, mit ihren Kindern im Camp. Sie erhalten eine psychologische Betreuung nach der klassischen Traumatherapie, holen ihre Schulzeit nach und machen eine Berufsausbildung. Schwester Hellen weiß, dass neben der professionellen Traumabewältigung auch das Gebet notwendig ist. Sie legen gemeinsam ihre Wunden vor Gott und erfahren dabei innere Heilung. So bekommen die Mädchen allmählich ein neues Selbstwertgefühl. Schwester Hellen zeigt ihnen auch, was sie für ihre eigenen Kinder und für die Gesellschaft tun können. „Ich lasse die Frauen Workshops gegen Gewalt auf der Straße halten. Selbst die Polizei ist für diese Arbeit sehr dankbar, weil sich dadurch die Gewaltbereitschaft deutlich verringert hat.“ Langsam lernen die jungen Frauen auch mit ihrer Schuld – viele von ihnen haben ja selbst getötet – umzugehen. Schwester Hellen hat diese Aufgabe übernommen, weil sie diesen Prozess selbst durchgemacht hat. „Dass andere Menschen mich achten und mir Respekt entgegenbringen, war für meinen Weg von tiefer Bedeutung. So habe ich meine Würde wiederentdeckt.“

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